Gesunde Eltern-Kind-Beziehung – was braucht es dafür?
Eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung wünschen sich alle Eltern und Kinder. Doch wie gelingt es, eine gute Beziehung aufzubauen, die auch im Erwachsenenalter der Kinder Bestand haben kann? In erster Linie kommt es auf eine gesunde Entwicklung an. Mit gesunder Entwicklung ist nicht nur das Essen gemeint.
Wer nur „Bio“ kauft, erfüllt lediglich einen kleinen Teil der Entwicklungsförderung. Weitaus wichtiger sind Umstände, die zur emotionalen Entwicklung beitragen. Eltern haben hier eine Schlüsselrolle. Kinder brauchen Eltern, auf die sie sich verlassen können und die sie in gesunder Weise fördern, indem sie die Kinder fordern.
- Welche Voraussetzungen müssen für eine gesunde Beziehung zwischen Mutter, Vater und Kindern erfüllt sein?
- Was heißt „Bezogene Individuation?“
- Aufrichtigkeit gegenüber dem Kind
- Eindeutige Rollenverteilung
- Warum ist Zuverlässigkeit ein wichtiger Faktor in der Beziehung?
- Raum für Gefühle
- Geborgenheit
- Gelassenheit und Fehlerfreundlichkeit
Welche Voraussetzungen müssen für eine gesunde Beziehung zwischen Mutter, Vater und Kindern erfüllt sein?
- Verlässlichkeit – ich kann darauf vertrauen, dass meine Eltern zu mir stehen und auch morgen für mich da sind
- Eltern als Identifikationsobjekte: Mutter und Vater sind mir zumindest bei einigen wichtigen Themen Vorbilder
- Mutter und Vater als Stabilisierungsfaktor: Wie sie mich beim Laufenlernen ermutigten und an der Hand nahmen, so sollen sie mir auch in meinen Krisen eine Rückendeckung sein
- Gesunde Distanz: Mein Autonomiebedürfnis wird geachtet, ich habe meinen eigenen Bereich, in der Wohnung wie im Leben
- Eltern in der Erwachsenenrolle – ich als Kind. Eltern müssen emotional erwachsen sein, um ihren Kindern Mutter und Vater sein zu können.
- Abnabelungsprozess ist möglich: Wenn es Zeit wird für mich, in die Welt zu ziehen, erfahre ich Unterstützung und Ermunterung. Meine Eltern zeigen mir, dass sie meinen Auszug aus der Wohnung bedauern – und gleichzeitig meine Abnabelung, meine Autonomieentwicklung fördern.
- Fehlerfreundlichkeit: Wenn ich scheitere, ermutigen mich meine Eltern, aufzustehen. Sie verzichten auf Hinweise wie „Das haben wir dir doch die ganze Zeit gesagt.“
- Selbstwertentwicklung: Ich brauche mich gegenüber meinen Eltern nicht zu beweisen. Nicht für meine Existenz und nicht für meine Leistungen. Für Entwicklung und Stabilisierung meines gesunden Selbstwertgefühls geben mir meine Eltern sowohl Raum als auch Zuversicht mit.
- Ich habe eigene Haushaltspflichten. Meine Eltern achten mich dadurch, dass sie mir schon in sehr jungen Jahren Aufgaben geben, an denen ich wachsen kann und die größer werden. Ich kann Wäsche aufhängen und zusammenlegen, die Spülmaschine ein- und ausräumen, den Staubsauger bedienen.
Was heißt „Bezogene Individuation?“
Der Heidelberger Familientherapeut Prof. Dr. Helm Stierlin hat den Begriff „Bezogene Individuation“ geprägt. Das heißt:
- Während das Kind seine eigenen Wertvorstellungen entdeckt, Beziehungen aufbaut und einen von Eigenverantwortung geprägten Lebensalltag entwickelt, bleibt es auf eine achtungsvolle Weise mit seinem Elternhaus verbunden.
- Das Kind kann den Unterschied zwischen den Generationen erkennen.
- Es kann sich auf die Loyalität seiner Eltern verlassen und weiß, dass es auch dann willkommen ist und geachtet wird, wenn es eine grundlegend andere Meinung hat.
- Eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung zeigt sich auch daran, dass die Eltern sich arrangieren, wenn sich das Kind für einen Partner entscheidet, der nicht der Ursprungsidee der Eltern vom idealen Schwiegersohn oder der perfekten Schwiegertochter entspricht.
- Emotionale Unabhängigkeit in den jüngeren Lebensjahren
Das Kind kann sich in einer gesunden Eltern-Kind-Beziehung außerdem darauf verlassen, dass die Eltern ohne den Sohn bzw. die Tochter auskommen. Für die gesunde Entwicklung einer Kindheit und Jugend ist es entscheidend: Eltern können ihre Belange in Ordnung halten, ihre Emotionen regulieren und den Kindern ein Rückhalt sein. Das gilt in einer gesunden Beziehung zwischen Kindern und Eltern zumindest so lange, wie die Eltern noch nicht in einem Alter sind, in dem sich Pflegebedürftigkeit einstellen kann.
Das Versorgen von Eltern im Greisenalter oder im Zustand von Pflegebedürftigkeit ist kein Kennzeichen von Parentifizierung. Voraussetzung: Kinder können ihrem Lebensalltag nachkommen, für ihre eigenen Familien da sein. Das setzt voraus, dass für alte oder kranke Eltern eine tragfähige Infrastruktur aufgebaut wird, durch die eine gesunde Entlastung möglich ist.
Diese Internetseite ist sowohl für Kinder gemacht, die in einer Parentifizierung stecken, als auch für Eltern, die ihren Kindern diese Last ersparen wollen. An dieser Stelle empfehle ich zwei Bücher des dänischen Therapeuten Jesper Juul, die gut für das Thema Eltern-Kind-Beziehung geeignet sind:
Was ist eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung in der Praxis?
Eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung ist von Aufrichtigkeit gegenüber dem Kind getragen. Sie zeichnet sich durch die eindeutige Rollenverteilung aus. Weitere Erkennungszeichen für eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung sind Zuverlässigkeit sowie eine Atmosphäre der Geborgenheit und der Gelassenheit. Und damit hier nicht der Eindruck von Idealisierung aufkommt: Fehlerfreundlichkeit ist ebenfalls ein wichtiges Erkennungsmerkmal für eine gute Beziehung zwischen Kindern und ihren Eltern. Gehen wir die genannten Punkte im Detail durch:
Aufrichtigkeit gegenüber dem Kind
Wenn ein Kind etwas fragt, hat es das Recht auf eine aufrichtige Antwort. Sätze wie „Das verstehst du noch nicht“ sind ein Ausdruck für mangelnde Bereitschaft, eine kindgerechte Antwort zu finden.
Kinder vertragen auch unangenehme, ja sogar schreckliche Wahrheiten. Auf jeden Fall können sie mit einer ernsten, traurigen Nachricht umgehen, eine bittere Tatsache in ihr Leben integrieren und mit ihr zu leben lernen. Mit einer Lüge verspielen Erwachsene das Vertrauen der Kinder. Im Angesicht einer Lüge würde das Kind nie wissen, woran es ist. Statt mit einer ernsten Wahrheit zu leben, müsste es gegen eine Lüge ankämpfen und wüsste zu keinem Zeitpunkt, woran es genau ist. Daher die Regel: stets die Wahrheit sagen – ohne das Kind natürlich mit überflüssigen Details zu überfordern. Wenn dem Kind etwas versprochen wird, unbedingt einhalten. Und sollte etwas dazwischenkommen, so ist das mit dem Kind genauso zu vertagen wie ein Termin mit dem Chef oder dem Kunden.
Aufrichtigkeit führt zu einer tragfähigen, gesunden Beziehung zwischen dem Kind und den Eltern.
Eindeutige Rollenverteilung
Die Gesundheit der Beziehung zwischen den Eltern und ihren Nachkommen wird auch dadurch sichtbar, dass die Rollen klar verteilt sind:
- Hier sind die Eltern – da ist das Kind. Oder im Fall von Alleinerziehenden:
- Hier ist Mama bzw. Papa – da ist das Kind.
Was heißt das genau?
Hier sind die Eltern – das heißt: Wann wir über die Straße gehen, welche Lebensmittel wir kaufen, dass das Kind in die Schule geht, wie lange es (wenn überhaupt) vor dem TV oder PC sitzt, wann es abends nach Hause kommt, das entscheiden die Eltern.
Eindeutig, möglichst unaufgeregt und nachvollziehbar.
Hier sind die Eltern, das heißt außerdem: Wir haben unsere Beziehungsebene, auf der wir uns miteinander auseinandersetzen, unterschiedliche Meinungen aushalten und uns versöhnen, wenn Versöhnung angebracht ist. Die Kinder können sich darauf verlassen, dass wir unsere Themen selbst geregelt bekommen.
Da ist das Kind – das wiederum heißt: Kinder sollen ihre Freizeit haben und Kinder sein, keine kleinen Erwachsenen. Das wiederum heißt jedoch nicht, dass sie in einem Stadium der Lebensunfähigkeit gehalten werden. Auch ein kleines Kind soll lernen, wie man ein Spiegelei zubereitet und das Waschbecken putzt. Heranwachsende Kinder „dürfen“ durchaus den Müll zur Tonne tragen und ihre T-Shirts selbst vom Wäschetrockner oder der Wäscheleine nehmen und zusammenlegen.
Kinder und Jugendliche sollen staubsaugen und ihre Betten selbst beziehen. Das alles sind Leistungen im Sozialverbund Familie, die Kinder dazu befähigen, soziales Verhalten zu erlernen, sich einzubringen und Fertigkeiten zu erwerben, die sehr nützlich für das Leben sind. Wer seinen Kindern all das abnimmt, enthält ihnen wesentliche Entwicklungsschritte vor. Kinder sind stark und lernfähig.
Werden Kinder ihrem Alter gemäß in den Sozialverbund Familie integriert und mit sinnvollen, angemessenen Aufgaben bedacht, fördert das ihre Entwicklung auf allen Kanälen. Es entsteht auf diese Weise eine gute Beziehung vom Kind zu den Eltern. Kind zu sein heißt, sich auf dem Weg über das Jugendlichsein zum Erwachsensein zu befinden. Und wenn das Kind erwachsen ist, bleibt es Kind seiner Eltern. Und es soll diese Beziehung, Kind im biologischen wie im familiären Sinn zu sein, behalten. Ein Kind mutiert niemals zum Psychotherapeuten oder Berater der Eltern, weil dies nicht der sinnvollen Rollenverteilung entspräche. Grenzüberschreitungen von Eltern in Richtung Kinder bringen die Beziehung zwischen ihnen in Gefahr.
Warum ist Zuverlässigkeit ein wichtiger Faktor in der Beziehung?
Ein Kind muss sich darauf verlassen können, dass die Mama und der Papa bzw. bei Alleinerziehenden eben einer von beiden zuverlässig sind, also für Nahrung sorgen und für gesunde Lebensbedingungen. Das ist natürlich nicht alles. Darüber hinaus gibt es in Sachen Zuverlässigkeit auch die Authentizität. Eltern sollten nie ein anderes Gefühl vortäuschen als das Gefühl, das sie haben. Kinder besitzen besonders sensible Antennen dafür, wie es der anderen Seite gerade geht. Eine erschöpfte Mutter soll dem Kind nicht vortäuschen, sie wäre fit. Das hätte womöglich zur Folge, dass das Kind für sich übernimmt, seine wahren Gefühle zu unterdrücken.
Zuverlässigkeit heißt zusammengefasst: Ich weiß, woran ich bin. Heute und morgen.
Raum für Gefühle
In einer gesunden Eltern-Kind-Beziehung dürfen sowohl Kinder ihre Gefühle ausdrücken als auch die Eltern. Es zählt zur guten Kultur, dass Kinder in dem, was sie empfinden, ernst genommen, für voll genommen werden. Ein kindliches Gefühl ist genauso stark wie das eines Erwachsenen. Die größte aller denkbaren Entmündigungen ist der fatale Hinweis: Deine Gefühle sind falsch. So etwas kommt z. B. dann zum Ausdruck, wenn ein Kind hört, es solle sich „nicht so anstellen“, wenn es traurig oder enttäuscht ist.
Geborgenheit
Eine ausgeglichene Eltern-Kind-Beziehung lässt sich an Geborgenheit erkennen. Dazu zählt, dass das Kind mit allen Themen ein offenes Ohr findet und eine schützende Hand. Das Kind muss sich darauf verlassen können, dass solche Themen, die es dem Erwachsenen anvertraut, vertrauensvoll behandelt werden. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass es die Erwachsenen nicht mit Geheimnissen gegeneinander ausspielt. Bei der klassischen Familie, die aus beiden leiblichen Eltern besteht, wie bei Patchwork-Familien zählt die Aufrichtigkeit untereinander zur Atmosphäre der Geborgenheit. Sich geborgen zu fühlen, hat auch noch mit einem anderen Umstand zu tun: Es dürfen Fehler passieren.
Gelassenheit und Fehlerfreundlichkeit
Kinder sollen wissen, sobald die Kindesbeine beginnen, sie durchs Leben zu tragen: Was immer ich angestellt, heruntergeworfen oder verbockt habe, ich kann mit allem zu meinen Eltern gehen, werde in die Arme geschlossen und dabei begleitet, die Sache in Ordnung zu bringen. Meine Eltern sind meine Vertrauenspersonen. Sie wissen, dass ich nichts mutwillig zerstöre. Und wenn es mir im Zorn doch passieren sollte, ist auch dieser Fehler eindeutig unter den Themen, die mir verziehen werden.
Entscheidend ist, dass Eltern und Kinder mit dem Blick nach vorne miteinander umgehen. Dem anderen etwas nachzutragen würde alle belasten.
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