Wie kann man Parentifizierung auflösen? Da gibt es meistens mehrere Knoten zu lösen. Manchen Menschen gelingt es. Viele aber betrauern verstorbene Eltern. Und sie bedauern, dass sie keine gute Beziehung zu sich und ihren Eltern aufbauen konnten. Gute Wege kann es immer geben.
Parentifizierung auflösen – es gibt gute Wege
Hier ist Trost. Selbst wenn die Eltern schon gestorben sind und keine Klärung in Form eines Gespräches mehr möglich ist, können Kinder die Parentifizierung auflösen.
Das betroffene Kind hatte sich womöglich daran gewöhnt, in einer ausweglosen Situation zu sein. Gleichzeitig hadert das Kind mit sich, weil es dem depressiven Vater oder der alleinerziehenden Mutter nie alle recht machen kann – wie auch? Die Auflösung der Parentifizierung beginnt mit ihrer Bewusstmachung.
Parentifizierung – auch ohne traumatische Kindheit
Wenn die Rollen vertauscht sind bzw. nie in der gesunden Ordnung waren, fällt es den Beteiligten im Familiensystem vordergründig kaum auf, dass eine Parentifizierung vorliegt.
Für das Kind wirkt es normal, dass die Mutter oder der Vater übermäßig viel Zeit mit ihm verbringt, es zum Vertrauten erklärt. Für die parentisierende Mutter oder den parentisierenden Vater ist es auf den ersten Blick auch eher ein Zeichen der Vertrautheit. Das eigene Kind wird zum Verbündeten erklärt wird. Vertrauen ist doch gut, sagt man allgemein.
Dennoch bleibt das nicht ohne Auswirkungen.
Das parentifizierte Kind hat im System immer unauffällig zu sein. Es überlebt in der auf den Kopf gestellten Beziehung dadurch, dass es sich stets lieb verhält und seine „höheren“ Aufgaben blind erfüllt.
Wenn später das parentifizierende Elternteil stirbt und es nicht zu einer Klärung gekommen ist, bleibt das erwachsene Kind in einem Zustand teilweiser Unreife zurück. Das Kind hat in jungen Jahren viele Kompetenzen eines Erwachsenen erworben. Das stimmt oft. Im Hinblick auf eine gesunde und gelingende Selbstfürsorge ist aber zumindest eine Seite des parentifizierten Kindes unselbständig geblieben.
Die Seite der Selbstfürsorge konnte sich nicht bzw. kaum entwickeln. Zur Aufrechterhaltung einer nach außen hin konfliktfreien Familie hat sich das Kind – in gewisser Weise etwas pathologisch – von sich selbst und seinen Bedürfnissen distanziert.
Eine gute Beziehung zu sich selbst aufbauen – Rollenumkehr auflösen
Zu den ersten und wichtigsten Schritten der Auflösung einer Parentifikation zählt der Aufbau einer gesunden Beziehung zu sich selbst. Das liest sich leicht. Aber es ist am Anfang nicht leicht.
Bislang waren die Antennen für die eigenen Anliegen und Bedürfnisse kaum ausgefahren. Das parentisierte Kind stand vor allem als Resonanzkörper für die Bedürfnisse und Schwingungen seiner Nächsten zur Verfügung. Nun soll es mit einem Mal ein Gefühl und einen Sinn für sich selbst entwickeln? Wie kann das gelingen?
Die vertauschte Rolle verlassen
In aufopfernder Weise hatte das Kind sich dazu bereit erklärt, eine ihm zugeschriebene Rolle einzunehmen. Es hat sich dazu verpflichtet gefühlt, womöglich über Nacht nicht mehr Kind zu sein, sondern ale erwachsener Partner zur Verfügung zu stehen.
Kindliches Verhalten und Spielen tauschte das Kind gegen eine neue, soziale und wichtig wirkende Rolle. Das falsche Versprechen dabei: Je mehr das Kind diese Rolle einnehmen würde, so dachte das Kind, je mehr es seine Kindheit opfern würde, desto eher würde ihm ein gerechter Lohn zukommen.
Der in der Therapeutenszene bekannte Heidelberger Systemiker Helm Stierlin spricht im Zusammenhang mit solchen Phänomenen von familiären Schuld- und Verdienstkonten. Schon 1978 beschrieb er in seinem Buch „Delegation und Familie – Beiträge zum Heidelberger familiendynamischen Konzept“ die „Dimensionen der bezogenen Individuation“. Dieser Begriff beschreibt die Selbstbefähigung zur Entwicklung eines eigenen Lebens bei gleichzeitiger Verbundenheit mit dem elterlichen System. In einer parentisierenden Eltern-Kind-Beziehung ist die bezogene Individuation nicht möglich. Es bleibt bei einer bezogenen Starre und Stabilität, beim Verharren im elterlichen Werte- und Verantwortungssystem.
Daher ist es schon ein großer Fortschritt, die Abläufe, die ungeschriebenen Gesetze und die verdeckt bestehenden Kontrakte in Familiensystemen zu erkennen.
„Unsichtbare Bindungen“ – Ivan Boszormenyi-Nagy
Ein weiteres erhellendes Werk ist in diesem Zusammenhang das Buch „Unsichtbare Bindungen“ von Ivan Boszormenyi-Nagy und Geraldine M. Spark. Es beschreibt die Dynamik familiärer Systeme und die Auswirkungen auf das spätere Berufsleben sowie das eigene Familienleben.
Boszormenyi-Nagy schreibt von der Parentifizierung eines Kindes, die eine Widersprüchlichkeit veranschaulicht: „wie das beschützte Objekt zugleich eine Quelle der Kraft und zuverlässigen Unterstützung werden kann.“
An dieser Textstelle in „Unsichtbare Bindungen“ weist der Autor auch auf den Konflikt hin, der einen Entwicklungs- und Reifeprozess als „illoyales Verhalten“ bezüglich der ehrgeizigen Bestrebungen der Familie erscheinen lässt. Freilich aus Sicht der Familie. Für das parentifizierte Kind ist es entscheidend, das durch die Ablösung entstehende, stark emotional geladene Problem auszuhalten: das Problem, dass der Wunsch der Familie nach dauerhaftem Fortbestand der Eltern-Kind-Beziehung nicht in Erfüllung gehen kann, weil das Kind selbst neue Bindungen eingehen will und wird.
Gutes Management belastender Gedanken – ich habe dazu eine Geschichte geschrieben
In dem kleinen Buch „Gedankenwohnung“ finden Sie – wenn Sie wollen – einen schon von vielen Menschen vor Ihnen als nützlich beschriebenen Ansatz, mit belastenden Gedanken umzugehen.
Die Idee zu dem Buch „Gedankenwohnung“ ist in meiner Frankfurter systemischen Beratungspraxis entstanden.
- Viele Klienten haben den Wunsch, belastende Gedanken für immer loszuwerden, abzuwehren usw.
- Doch Gedanken können wir nicht loswerden, indem wir sie löschen würden. Das widerspräche der Natur des Gehirns.
- Mit belastenden Gedanken lässt sich aber eine Geschichte entwickeln, in der sie eine andere Rolle – genauer gesagt: einen anderen Platz im Bewusstsein bekommen.
Lesen Sie das Buch; Sie können es per Klick auf diesen Link zur Seite gedankenwohnung.de direkt als E-Book (Sofort-Download PDF) erwerben oder die gedruckte Version bestellen.
Ablösung von den Eltern im Erwachsenenalter
Die Abnabelung von den Eltern findet in gesunden Familiensystemen in der Regel in der Adoleszenz (Zeitraum des Erwachsenwerdens) statt. In dysfunktionalen Familien kommt es aber oft erst im Erwachsenenalter zur Ablösung von den Eltern. Manchen parentifizierten Kindern, die oft schon selbst Eltern geworden sind, gelingt die Ablösung von den Eltern erst, wenn diese ein hohes Alter erreicht haben. Dann befürchten die erwachsenen Kinder zumindest nicht mehr bewusst Sanktionen wie Liebesentzug oder Kontaktabbruch durch die Eltern zu erleiden.
Es kann sich aber lohnen, mit der Abnabelung von den Eltern nicht zu warten, bis diese im Altersheim oder pflegebedürftig sind. Wie kann die Auflösung der Parentifizierung gelingen?
Bewusstmachung, Erkenntnis, Eingeständnis des parentifizierten Kindes
- Ja, ich bin zum Spielball der Emotionen und der unerfüllten Bedürfnisse Erwachsener geworden
- Bewusstmachung der eigenen Grundbedürfnisse als Kind
Nicht nur kleine Kinder und Jugendliche haben die Sehnsucht danach, gesehen, gehört und anerkannt zu werden. In ihren Entwicklungen, Fragen, Grenzen, Anliegen. Es ist entscheidend, sich den Mangel an Erfüllung bewusst zu machen, um darüber zumindest einmal festzustellen, dass es eine Schieflage gab.
Klare Entscheidung: ein Ja zu mir selbst braucht ein Nein nach außen
- Parentifizierungen bestehen aus „zu allem Ja sagen.“ Das Kind verzichtet auf seine Kindheit, um als viel zu junger Ersatz-Ehetherapeut, Mediator oder Anwalt zu arbeiten. Meistens parteiisch, was die Sache besonders schwierig gestaltet.
- Das klare Nein zu solchen Erwartungen ist ein deutliches Ja zu sich selbst. Nur das – durchaus freundliche, aber bestimmte Nein nach kann die Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse auflösen und Raum zum Atmen schaffen.
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